Militärputsch in Burkina Faso – Hintergründe, Analyse und Bewertung

Militärputsch in Burkina Faso – Hintergründe, Analyse und Bewertung

Militärputsch in Burkina Faso – Hintergründe, Analyse und Bewertung
slice2-2
Die Redaktion

30.01.2022, 00:40 Uhr

Militärputsch in Burkina Faso – Hintergründe, Analyse und Bewertung
Darum geht es :

Am letzten Montagabend (24.01.2022) gab das Militär in Burkina Faso nach einem Tag der Verwirrung im nationalen Fernsehen eine Erklärung ab. Sie kündigten an, dass sie den Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré sowie die Nationalversammlung und die Regierung ab- und die Verfassung ausgesetzt hatten, die Grenzen geschlossen und eine Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verhängt hatten.

Melden Sie sich zu unserem Newsletter an und erhalten Sie regelmäßig Updates

Die Redaktion

Publiziert am: 30.01.2022, 00:40 Uhr

Am letzten Montagabend (24.01.2022) gab das Militär in Burkina Faso nach einem Tag der Verwirrung im nationalen Fernsehen eine Erklärung ab. Sie kündigten an, dass sie den Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré sowie die Nationalversammlung und die Regierung ab- und die Verfassung ausgesetzt hatten, die Grenzen geschlossen und eine Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verhängt hatten.

Militärputsch in Burkina Faso - Am letzten Montagabend (24.01.2022) gab das Militär in Burkina Faso nach einem Tag der Verwirrung im nationalen Fernsehen eine Erklärung ab. Sie kündigten an, dass sie den Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré sowie die Nationalversammlung und die Regierung ab- und die Verfassung ausgesetzt hatten, die Grenzen geschlossen und eine Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verhängt hatten.

Dies ist der Ausgang zweier heißer Tage, die den Eindruck erwecken können, dass es sich beim Regierungsumsturz um eine einfache Meuterei oder den unbändigen Wunsch junger Armeeangehöriger nach Macht handelt. Bei näherer Betrachtung ist jedoch die lange Genese einer tiefgreifenderen Krise erkennbar. Wie könnte es aber soweit kommen?

Die Prekarität der Sicherheitslage

Die Differenzen zwischen Kaboré und einem Teil der Armee sind bereits alt. Ein Jahr nach dem Sturz von Blaise Compaoré wurde Kaboré 2015 zum Präsidenten von Burkina Faso gewählt. Im selben Jahr erlebt das Land jedoch die ersten Anschläge von islamistischen Gruppen. Die Intensität, die Häufigkeit und das Einzugsgebiet der Anschläge nahmen im Laufe der Jahre dramatisch zu. Einige von ihnen haben aufgrund ihres Ausmaßes einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Anschlag-auf-das-Cafe-Capuccino-in-Ouagadouggou-1024x682
Anschlag auf das Café Capuccino in Ouagadougou

Der erste Anschlag fand im Januar 2016 statt. Bei diesem Anschlag, welcher auf das Hotel Splendid und das Café Capuccino in der Hauptstadt Ouagadougou ausgeübt wurde, wurden 30 Menschen getötet, die meisten von ihnen Ausländer. Im August 2017 sterben 21 Menschen bei einem weiteren Anschlag in der Hauptstadt. Ab 2018 werden die Anschläge fast täglich.

Präsidentenwahlen 2020 trotz Sicherheitsbedenken

Am 11. November 2020, mitten im Wahlkampf, waren 14 Militärangehörige bei einem von der Organisation Islamischer Staat (IS) beanspruchten Angriff auf ihren Konvoi auf einer Strasse in Tin-Akoff im Norden des Landes getötet worden. Drei Tage zuvor war der Fahrer eines Parlamentskandidaten auf der Straße von Gorom-Gorom ermordet worden.

Trotz Sicherheitsbedenken fanden die Präsidentschaftswahlen in Burkina Faso jedoch am 22. November 2020 statt. So sagte beispielsweise der Chef der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission (CENI) einigen Monate zuvor, dass er "sich nicht vorstellen" könne, "dass diese Wahl stattfinden könnte". Aufgrund der Bedrohung durch dschihadistische Gruppen, die der Al-Qaida und dem IS angehören, wurde fast ein Fünftel des Landes von der CENI als rote Zone eingestuft und von vorneherein von der Wahl ausgeschlossen.

Im Vorfeld hatten die Abgeordneten das Wahlgesetz dahingehend geändert, dass im Falle von "höherer Gewalt oder außergewöhnlichen Umständen" nur die Ergebnisse der geöffneten Wahllokale berücksichtigt werden.

Dank eines aufwendigen Sicherheitskonzepts und der Mobilisierung von mehr als 45 000 burkinischen Sicherheitskräften konnten die doppelten Wahlen für das Präsidentschaftsamt und das Abgeordnetenhaus stattfinden. So sagte der damalige Vorsitzende der CENI, Newton Ahmed Barry: "Wissen Sie, wie sehr wir kämpfen mussten, um Leute zu finden, die an manchen Orten die Wahllokale öffnen? Diese Wahlen waren für viele von uns das Kreuz".  Umso mehr freute er sich, dass die Wahlen in 336 (von 351) Gemeinden und ohne Verlust von Menschenleben stattfinden konnten.

Eine zweite Chance für Präsident Kaboré

Das burkinische Volk hatte 5 Jahre zuvor durch einen blutigen Aufstand den langjährigen Präsident Blaise Compaoré gestürzt. Trotz Bedenken an Kaborés Fähigkeiten das Land aus der Misere zu holen, entschied es sich ihm eine zweite Chance zu geben. Somit setzte das Volk ein Signal gegen die Terroristen, indem sie zur Wahl gingen und Kaboré mit 57,87% der Stimme zum zweiten Mal als Präsident wählten.

Bereits während der Kampagne versprach Kaboré, bei Widerwahl den Kampf gegen die Dschihadisten zu seiner Priorität zu machen. Nach den gewonnenen Wahlen dann sagte Kaboré, dass er aus den Fehlern seiner ersten Amtszeit gelernt habe und versprach einen „neuen Start“. Schließlich wurde Kabore trotz seiner Gutmütigkeit und hohem Geschick für Konsensfindung kritisiert für seine mangelnde Reaktionsfähigkeit und Unentschlossenheit. Kabore musste also nun liefern und folgende dringende Aufgaben erledigen: Reform des Sicherheitssektors, Stärkung der Justiz, Achtung der Menschenrechte. Dazu kam das heikle Thema der nationalen Versöhnung und der Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré, der sechs Jahre zuvor in die Elfenbeinküste geflohen war. Diese Frage versprach er "ab dem ersten Halbjahr 2021" anzugehen.

Kurzum musste Präsident Kabore das Vertrauen eines Teils der Bevölkerung zurückgewinnen, das durch die Spirale der Gewalt zutiefst erschüttert wurde und sich zunehmend ausgegrenzt fühlte. Einige Beobachter hatten auch damals schon gesagt: "Wenn keine Reaktion erfolgt, könnte die Unsicherheit zusätzlich zu den anderen Faktoren wie sozioökonomische Schwierigkeiten und Korruption Protestbewegungen schüren". (International Crisis Group). Tatsächlich kam es nicht anders als vorhergesagt.

Die mangelnde Antwort der politischen Klasse

Trotz großer Ankündigungen, gefolgt von mehreren Wechseln an der Spitze der Streitkräfte (u.a. zweimalige Neuerneuerung des Generalstabschefs) verschlechterte sich 2021 die Lage in Burkina. Das Land blieb weiterhin konfrontiert mit einer Sicherheits-, humanitären, wirtschaftlichen und sozialen Krise, die allesamt durch die Covid-19-Pandemie verstärkt wurde.  Zum 31. Dezember 2021 wurden beispielsweise 1 579 976 Binnenvertriebene registrierte, die ihre Häuser zum Teil fluchtartig verlassen mussten.

Gleichzeitig vergeht kein Tag ohne Anschläge sowohl auf die Zivilbevölkerung als auch auf die Sicherheitskräfte. Im Juni 2021 wurden in Solhan im Nordosten des Landes über 100 Dorfbewohner massakriert. Im November kommen 53 Gendarmen in Inata ums Leben. Berichten zufolge klagte die Einheit über Versorgungsengpässe. Diese Enthüllungen schockieren die Öffentlichkeit und Präsident Kabore erhielt in diesem Zusammenhang mehrere Warnungen über unüberwindbaren Vertrauensverlust in der Armee, insbesondere bei jungen Offizieren. All dies bewegte Kabore dazu kurzfristig eine Regierungsneubildung zu veranlassen. So wurde der Premierminister entlassen und ersetzt durch den international erfahrenen Lassina Zerbo, ehemaliger Vorsitzender der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO).  Gleichzeitig versprach Präsident Kabore strafrechtliche Untersuchungen und Disziplinarmaßnahmen gegen die verantwortlichen Befehlshaber.

In diesem Zusammenhang wurden zwei Offiziere vom Dienst suspendiert, darunter auch Oberstleutnant William Aristide Nassidia Combary, ein ehemaliger Klassenkamerade Damibas. Auch nahm Präsident Kabore Veränderungen in den Streitkräften vor. Genau unter diesen Umständen wurde Oberstleutnant Damiba zum Kommandeur der dritten Militärregion des Landes ernannt. Diese Armeeeinheit ist insbesondere für die Terrorismusbekämpfung im Osten Burkina Fasos und die Sicherheit der Hauptstadt Ouagadougou verantwortlich. Trotz dieser verspäteten Maßnahmen nahmen die Angriffe nicht ab und das öffentliche Misstrauen wuchs. Und Hunderte von Burkinabés demonstrierten in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso, um ihrer Wut über die sich immer wieder verschlechternde Sicherheitslage Ausdruck zu verleihen.

Anfang Januar 2022 wurden mehrere Militärangehörige im Rahmen von Ermittlungen wegen "versuchter Destabilisierung der Institutionen der Republik" festgenommen. Zu diesen Militärs gehörte auch Oberstleutnant Emmanuel Zoungrana, ehemaliger Kommandeur des 12. Infanterie-Kommandoregiments und ehemaliger Kommandeur der Truppengruppe des Westsektors im Kampf gegen den Terrorismus. Berichten zufolge besteht zwischen ihm und Damiba eine Verbindung, die über die dienstlich notwendige Zusammenarbeit hinausgeht. Dies ist nicht überraschend, da beide die gleiche Eliteschule (PMK) besucht haben und bereits dort eine Freundschaft pflegten, obwohl sie in zwei unterschiedlichen Jahrgängen waren.

Die Welt ignoriert und Frankreich spaltet weiter

In Europa wurde die Lage in Burkina Faso vor dem Putsch nur am Rande thematisiert. Viel mehr wird Kritik geübt, wenn der Nachbarstaat Mali, dass ein ähnliches Schicksal wie Burkina Faso erleidet, entscheidet sich an Russland zu wenden, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Schließlich engagiert sich ja Europa in der Region und gibt an, mit der Anwesenheit seiner Soldaten den Terrorismus zu bekämpfen.

Für viele Menschen in Burkina Faso bleibt also die Situation angespannt. Antifranzösische Stimmungen bildeten sich. Die Situation eskalierte, als in Ouagadougou und insbesondere in Kaya Demonstranten die Durchfahrt eines französischen Transports auf dem Weg nach Mali blockierten. Auch hier ist die Stimmung ähnlich wie in Mali: "Seit fast einem Jahrzehnt in Mali und seit 2016 in Burkina, verschlechtert sich die Situation nur noch obwohl die Franzosen hier stationiert sind“ so die allgemein-geteilte Meinung unter dem Demonstranten und den Mitgliedern der Zivilgesellschaft. Das bedeutet, dass die öffentliche Meinung die Präsenz Frankreichs für unnötig hält. Und der krönende Abschluss in diesem Kapitel von Kaya ist, dass durch Warnschüsse der angehaltenen französischen Armee einige Demonstranten verletzt wurden. Und dies führte unweigerlich zu einer Eskalation der antifranzösischen Stimmung im „Land der aufrichtigen Menschen“.

Die Welt ignoriert und Frankreich spaltet weiter

In Europa wurde die Lage in Burkina Faso vor dem Putsch nur am Rande thematisiert. Viel mehr wird Kritik geübt, wenn der Nachbarstaat Mali, dass ein ähnliches Schicksal wie Burkina Faso erleidet, entscheidet sich an Russland zu wenden, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Schließlich engagiert sich ja Europa in der Region und gibt an, mit der Anwesenheit seiner Soldaten den Terrorismus zu bekämpfen.

Für viele Menschen in Burkina Faso bleibt also die Situation angespannt. Antifranzösische Stimmungen bildeten sich. Die Situation eskalierte, als in Ouagadougou und insbesondere in Kaya Demonstranten die Durchfahrt eines französischen Transports auf dem Weg nach Mali blockierten. Auch hier ist die Stimmung ähnlich wie in Mali: "Seit fast einem Jahrzehnt in Mali und seit 2016 in Burkina, verschlechtert sich die Situation nur noch obwohl die Franzosen hier stationiert sind“ so die allgemein-geteilte Meinung unter dem Demonstranten und den Mitgliedern der Zivilgesellschaft. Das bedeutet, dass die öffentliche Meinung die Präsenz Frankreichs für unnötig hält. Und der krönende Abschluss in diesem Kapitel von Kaya ist, dass durch Warnschüsse der angehaltenen französischen Armee einige Demonstranten verletzt wurden. Und dies führte unweigerlich zu einer Eskalation der antifranzösischen Stimmung im „Land der aufrichtigen Menschen“.

Die Ereignisse überschlagen sich Ende Januar

Die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung nahm weiter zu. Obwohl die zuständigen Behörden den Antrag aus Sicherheitsgründen zurückwiesen hielten viele Demonstranten am 22. Januar 2022 zum Teil gewaltsame Kundgebungen in der Innenstadt von Ouagadougou und in Bobo-Dioulasso ab um ihren Unmut über die Partei von Kabore (MPP) zu äußern. In Kaya, im nördlichen Zentrum Burkina Fasos, wurde sogar der Sitz der Regierungspartei (MPP) verwüstet.

Am Sonntag (23.01.2022) meuterten dann Soldaten in mehreren Kasernen in Ouagadougou, Kaya und Ouahigouya. Sie forderten angemessenere Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus und lehnten die letzten Ernennungen an der Spitze bestimmter Einheiten der Streitkräfte im Rahmen der durchgeführten Reformen von Kabore ab. Auch forderten Sie grundlegende Veränderungen an der Spitze der Streitkräfte und des Geheimdienstes, genauso wie mehr Unterstützung und Rücksicht auf die Familien der im Kampf verletzten oder gefallenen Soldaten. Berichten zufolge wollten einige die Beteiligungsanschuldigungen an dem angeblichen Putschversuch gegen den zuvor inhaftierten Oberstleutnant Zoungrana nicht akzeptieren.

Im nationalen Fernsehen hatte der Verteidigungsminister in einer um 9 Uhr morgens ausgestrahlten Sonderausgabe versichert, "die Situation zu verfolgen" und versprochen, "zu gegebener Zeit" zu berichten. "Wir wissen nicht mehr über die Beweggründe für die Schüsse oder die Forderungen, wir verfolgen das Geschehen, um mit den Drahtziehern in Kontakt zu treten", so General Aimé Barthélémy Simporé. Gleichzeitig dementierte er "ausdrücklich" die Verhaftung des Staatschefs und forderte die Bevölkerung auf, "ruhig" zu bleiben.

Im Laufe des Tages spitze sich jedoch die Lage zu, so dass Verhandlungen geführt werden müssten. Daher führten einige der Meuterer bis zum späten Sonntagabend Gespräche mit General Barthélémy Simporé. Sogar am Montag erfolgten einige Verhandlungsversuche. In einer am frühen Montagnachmittag auf Kaborés Twitter-Account veröffentlichten Nachricht, von der nicht klar war, ob sie direkt von ihm geschrieben worden war und unter welchen Umständen, forderte er "diejenigen, die zu den Waffen gegriffen haben“, dazu auf, „sie im besten Interesse der Nation niederzulegen". Weiter schrieb er: "Wir müssen unsere Widersprüche durch Dialog und Zuhören lösen.“

Auch wenn zu dem Zeitpunkt der Ausgang für das Regime Kaboré so gut wie hoffnungslos erschien, war nicht auszuschließen, dass der Präsident noch Verbündete hatte.  Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass Kaborés potentielle Verbündeten den Kritikern zahlenmäßig unterlegen waren. Ende der Geschichte ist:  Nach einem verwirrenden Tag unterschrieb Präsident Kabore seinen Rücktritt, "im höheren Interesse der Nation, aufgrund der Ereignisse, die sich dort seit Sonntag abspielen".  Die Rücktrittserklärung wurde später im Nationalen Fernseher vorgelesen. Kurz nach 17 Uhr Ortszeit verkündeten die Militärs schließlich im nationalen Fernsehen, die Macht übernommen zu haben.

Der Militärputsch von MPSR

Umgegeben von etwa 15 Soldaten in Kampfmontur und roten Baretten verkündetet Hauptmann Kader Sibsoré Ouédraogo, dass die Patriotische Bewegung für die Rettung und Wiederherstellung (Mouvement patriotique pour la sauvegarde et la restauration, MPSR), "die alle Komponenten der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte umfasst, (…) somit beschlossen [hat], der Macht von Herrn Roch Marc Christian Kaboré ein Ende zu setzen.“ Die MPSR ließ die Land- und Luftgrenzen ab Mitternacht schließen, löste die Regierung und die Nationalversammlung auf und "suspendierte" die Verfassung. Außerdem wurde eine landesweite Ausgangssperre von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr "bis auf weiteres" verhängt.

Militaerputsch-in-Bukrina-Faso-1024x684
Hauptmann Kader Sibsoré Ouédraogo, Sprecher der MPSR

Auch wenn sich die MPSR zur "Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Ordnung" innerhalb "eines angemessenen Zeitraums" verpflichtet hat, können schon jetzt einige Parallelen mit dem Coup d´état im Mali gezogen werden. Denn In Mali war es so: Auf eine Reihe von tödlichen Angriffen auf militärische und zivile Ziele folgten Massenproteste, die durch ein wachsendes Misstrauen gegenüber der Regierung des damaligen malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta ausgelöst wurden

Nur eine Frage der Zeit

Der Ausgang dieser Krise war also nicht überraschend, denn "Burkina Faso lebt schon seit vielen Jahren unter einer extremen Sicherheitsanspannung. Das führt unweigerlich zu Spannungen innerhalb des Militärs. Zu viele erlittene Niederlagen, zu viele Tote... Es gab einen allgemeinen Hintergrund für Unzufriedenheit oder Spannungen innerhalb der Armee." Dies erklärte auch, warum die Streitkräfte innerhalb der letzten 5 Jahren von mehr als zwei Verteidigungsministern und 4 Generalstabchefs kommandiert wurden. Auf der anderen Seite zeig dies auch die Unentschlossenheit und beinah das Unvermögen von Präsident Kabore den richtigen Mann an der Spitze zu finden. Und dies nicht, weil es an fähigen Köpfen fehlte, sondern aus Angst vor den immer noch mächtigen Verbündeten des in 2015 gestürzten Präsidenten Compaoré. Auch wenn der jahrelange und treuste Wegbegleiter von Compaoré, General Gilbert Diendéré aufgrund anderen Vergehens eine Haftstrafe in Gefängnis absitzt, hatte Kaboré Angst um seinen eigenen Kopf, im wahrsten Sinne des Wortes. Somit verlor er im Laufe der Zeit seine präsidentielle Autorität.

Ehemaliger-Praesident-Kabore-1024x576
Ehemaliger Präsident Kaboré

Die Bestätigung des Putsches beendete also einen langen Tag der Ungewissheit in Burkina Faso. Jedoch wurde bis dahin nichts über das Schicksal des gestürzten Präsidenten verkündet. Auch wenn Hauptmann Kader Sibsoré Ouédraogo behauptete, dass alle Operationen "ohne Blutvergießen und ohne jegliche körperliche Gewalt gegen festgenommene Personen“ erfolgten, ernten die MPSR heftige Kritik insbesondere von der internationalen Staatengemeinschaft, allen voran vom UN-Generalsekretär. Er kritisierte scharf das Vorgehen des Militärs und sagte pauschalisierend, "Militärputsche sind inakzeptabel". Ferner sagte er: "Die Rolle des Militärs sollte darin bestehen, das Land und seine Bevölkerung zu verteidigen, und nicht darin, seine Regierung anzugreifen und um die Macht zu kämpfen." Fakt ist jedoch, dass sich die Bevölkerung sich gefreut hat.

Vive Colonel Damiba: Ein Volk freut sich

"Es ist ein Sieg, ein Neuanfang für das Volk mit dem Sturz eines unfähigen Regimes". Mit der Flagge von Burkina Faso in der Hand feiern andere Demonstranten auf dem „Place de la révolution“: "Es ist ein neues Kapitel für die Armee [des Landes], die in die Geschichte eingehen muss, indem sie sich auf das Wesentliche konzentriert, nämlich Burkina von den terroristischen Gruppen zu befreien, die uns schon genug Leid gebracht haben", so einige Burkinabés. Die Reaktionen der Bevölkerung war somit eher positiv. Zwar wünschten sie sich keinen Putsch aber die meistens zeigten sich erleichtert, dass letztendlich etwas passiert ist.

Paul-Henri-Sandaogo-Damiba-1
Oberstleutnant Damiba wird als Retter der Stunde gefeiert

Nach der im Fernsehen übertragenen Erklärung der Junta versammelten sich einige hundert Anhänger auf dem Place de la Nation im Herzen der Hauptstadt, zeigten ihre Freude und stimmten die Nationalhymne an. "Das Vaterland oder der Tod, wir werden siegen", sangen sie und schwenkten kleine Flaggen von Burkina Faso. "Unter Präsident Roch erlebten wir jeden Tag Morde und Elend, jetzt mit den Militärs an der Macht hoffen wir, wieder Frieden zu finden", will Ousseni Bamogo, ein arbeitsloser Schweißer, glauben. Im Stadtzentrum paradierten ebenfalls Gruppen von Jugendlichen auf ihren Motorrädern, hupten und riefen: "Das Land ist befreit! Es lebe die Armee!"

Auch sogar am Sonntag bekamen die „Meuterer“ Unterstützung: Vuvuzelas, Hupen und Freudenrufe waren Eingang des Camps Sangoulé-Lamizana zu hören. Einige riefen: "Das Militär an die Macht", und schwenkten kleine rote und grüne Fahnen, die Farben Burkinas. "Wir wollen ein Übergangsregime wie in Mali und den Abzug Frankreichs aus der Sahelzone", erklärte ein 31-jähriger Händler vor dem Westkreuz, wo Jugendliche Barrikaden aus Steinen und verbrannten Reifen errichtet hatten.

"Wir können nicht mehr, der Präsident hält das Land nicht mehr zusammen, unsere Kameraden sterben jeden Tag an der Front", so weitere Unterstützer. "Wir haben ihm mehrere Chancen gegeben, aber jetzt ist es zu spät, wir fordern den Rücktritt des Präsidenten“.

Auch Serge Bambara alias Smokey, Sprecher der Bewegung le '' Balai Citoyen '', der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die maßgeblich zum Sturz des ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré beigetragen haben, sagt: „diejenigen, die die edlen Ziele, die dieses Volk anstrebte, missbraucht haben, mussten schließlich dafür bezahlen“.

Zu kurz-gedachte Kritiken?

Somit ist es beinah peinlich, wenn der UN-Generalsekretär, ein Mann der eigentlich sehr gut informiert werden müsste über den Motiven und die Ereignisse in Burkina Faso, die Freudenfeiern in den Straßen von Ouagadougou nach dem Umsturz nicht als klaren Hinweis auf eine Unterstützung in der Bevölkerung ansieht, und behauptet:  "Es gibt immer Feiern bei dieser Art von Situationen". Auch gilt es seine Worte in Frage zu stellen, wenn er behauptet: "Es ist einfach, sie zu orchestrieren, aber die Werte der Demokratie hängen nicht davon ab, wie die öffentliche Meinung zu irgendeinem Zeitpunkt aussieht." Die Burkinabe sind schließlich schlau genug um zu wissen, unter welche Regime sie leben wollen. Schließlich sind sie ja die direkten Opfer des Terrorismus, und nicht jemanden der weit weg ist und nur mit gepanzerten Limousinen rumkutschiert wird. Schon auf die Idee zu kommen, dass das Jubeln eine Inszenierung ist oder dass die Jubelnden möglicherweise bestochen werden könnten, stellt eine klare Beleidigung der Intelligenz der Menschen in Burkina dar. Zwar sind viele arm und hungrig, ihr Urteilvermögen haben sie jedoch nicht verloren. Diplomatische Floskel hin oder her, Demokratie ist keine Einbahnstraße. Und als souveränes Volk dürfen die Burkinabés Flagge zeigen, wenn ihre Streitkräfte alles in Bewegung setzen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn man sich die Sicherheitslage Burkina Fasos, die wachsende Anzahl der Binnenflüchtlinge und das Unvermögen der politischen Elite adäquate Antworten zu liefern, vor Augen führt.

Im Übrigen, darf auf folgendes hingewiesen werden: Artikel 36 der Verfassung von Burkina Faso besagt: "Der Präsident (…) ist das Staatsoberhaupt. Er wacht über die Einhaltung der Verfassung. Er legt die großen Leitlinien der Staatspolitik fest. Er verkörpert und gewährleistet die nationale Einheit. Er ist Garant für die nationale Unabhängigkeit, die territoriale Integrität, die Beständigkeit und Kontinuität des Staates und die Einhaltung von Abkommen und Verträgen". Anders gesagt, Artikel 36 nimmt den Präsidenten in die Pflicht und Verantwortung, die Gesamtheit der Burkinabés zu schützen. Gelingt ihm das nicht, so muss er alle Konsequenzen ziehen, indem er "ipso facto" seinen Rücktritt einreicht, wie Präsident Blaise Compaoré nach den Demonstrationen vom 30. und 31. Oktober 2014 tat, um weitaus schlimmere Zusammenstöße und einen möglichen Zerfall Burkina Fasos zu verhindern. Man mag aber behaupten, dass Kabore unter Gewalt oder Gewaltandrohung gezwungen wurde, seinen Rücktritt zu unterschreiben. Es darf aber an der Stelle auch erinnert werden, dass an dem Sonntag Verhandlungen stattgefunden haben. Und wie man es schön sagt, manche Menschen muss man zu ihrem Glück zwingen.

Fakt ist also, der gestürzte Präsident hat Fehler begangen.  Und ie Rekrutierung von Freiwilligen, die an der Seite der klassischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte gegen diese nicht identifizierten bewaffneten Personen kämpfen sollten, führte "de facto" zu der bitteren Feststellung, dass die Streitkräfte nicht mehr in der Lage waren, ihre hoheitliche Aufgabe des Schutzes des Territoriums angemessen zu erfüllen.

Jedoch macht es keinen Sinn die MPSR an den Pranger zu stellen, nach dem Motto, schon wieder ein Militärputsch in Afrika. Es macht keinen Sinn auf die bittere Vergangenheit dieses Landes zurückzublicken, ein fast zerfallener Staat mit einer gespalteten Armee. Viel wichtiger wären also die Erwartungen zu schildern, welche auf die Schulter des nun jungen Präsidenten lasten, und sich den Fragen zu widmen, welche das Entwicklungspfad dieses Landes bestimmen könnten.

Erwartungen und offenen Fragen

Die Burkinische Bevölkerung hat genug geweint und getrauert um sowohl die Soldaten als auch die zivilen Opfer des islamitischen Terrors. Für viele Beobachter sind die Gründe für die Erosion der Sicherheitslage zu einem guten Teil die ungenügenden Entwicklungsfortschritte und Perspektiven für viele Menschen im Land. Sie vertreten die Meinung, dass dies mit militärischen Mitteln allein nicht gelöst werden kann.

Auch behaupten sie, viele junge Männer würden sich den bewaffneten Oppositionsgruppen anschließen, weil sie schlicht keine Alternativen oder Perspektiven haben. Einerseits weil sie dazu gedrängt werden, andererseits weil sie so einen Sold bekommen, der für manche die einzige Möglichkeit ist, überhaupt ein Einkommen zu erzielen.

Für diese Beobachter heißt also die Zauberformel: Eine umfassendere Strategie, welche wirtschaftliche und soziale Entwicklung gleichermaßen berücksichtigt. Dazu gehören der Aufbau von Gesundheitszentren, Schulen und wirtschaftliche Chancen, gerade für junge Menschen.

Gewiss, hungrige Bäuche sind leicht zu manipulieren. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, dass genau dieses hungriges Volk 2015 den damaligen langjährigen Präsident Blaise Compaoré gestürzt hat, und damit eine Welle von Revolutionsbewegungen in weiteren Teile Afrikas aufgelöst hat.

Obwohl es offensichtlich sein sollte, lassen viele Beobachter jedoch außer Acht, dass ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, all diese „Entwicklungs“- Projekte nicht durchgeführt werden können. Das burkinische Volk erwartet also von MPSR und Oberstleutnant Paul-Henri Damiba sowie allen Teilen der Streitkräfte, dass sie die Sicherheitslage stabilisieren. Die Fähigkeit der Burkinischen Soldaten anzuzweifeln wäre aktuell auch grundlos. Terrorismus ist kein klassischer Krieg und lässt sich daher nicht durch Anwendung konventioneller Kriegsführungsmethoden gewinnen. Oberstleutnant Damiba ist sich sicherlich dessen bewusst sein, zumal er eng mit dem bekannten Terrorfachmann Alain Bauer zusammengearbeitet hat und ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht hat. Er ist also bestens für diesen Kampf gerüstet, für den er nun die politische Verantwortung trägt.

Vier Tagen nach der Machübernahme kann auch festgestellt werden, dass der MPSR strategisch und operativ anders vorgeht als übliche Putschisten: innerhalb von 24 Stunden nach Machtübernahme und Ankündigung über die Schließung der Grenzen bis auf weiteren, wurden diese wieder geöffnet. Auch wurden erste Beratungen mit unterschiedlichem Staatssekretär abgehalten, die die Führung der jeweiligen Ministerien nach der Auflösung der Regierung von Kabore übernehmen. Alle verhafteten Minister wurden freigelassen. Und ein Treffen zwischen ihnen und der MPSR fand auch schon statt. Lediglich Präsident Kabore steht weiterhin unter Hausarrest.  Übereinstimmende Quellen berichten, dass dies auch zur Sicherheit des Präsidenten ist um mögliche Racheakte oder die Sabotage des neuen Regimes durch eine mögliche Ermordung von Kabore zu vermeiden. Auch das Gerichtsverfahren zur Ermordung von Thomas Sankara, welches am 24.01.2022 hätte fortgesetzt werden sollen, wird am kommenden Montag fortgeführt.

Dieses Verhalten steht im Einklang mit der patriotischen Haltung der jungen Offiziere. Es sei daran erinnert, dass es sich genau um die gleichen Offiziere handelt, die 2015 den Putschversuch des Handlangers von Blaise Compaoré vereitelt haben.

Betrachtet man die Mitglieder der Bewegung, so kann auch festgestellt werden, dass es sich um junge Offiziere handelt, die sehr gut ausgebildet und voller Engagement sind. Sie kennen sich alle von der Kadettenschule, wo eine neue Generation von Offizieren ausgebildet wurde.

Es sind junge Offiziere, die machtlos zusehen mussten, wie ihre Kameraden, mit deinen sie die Schulbank auf der Kadettenschule gedrückt haben, an der Front einen sinnlosen Tod sterben müssen - nicht, weil sie nicht kämpfen können oder wollen - sondern weil sie einfach nicht einfach die entsprechenden Ausrüstungen erhielten, oder nicht rechtzeitig versorgt worden sind.

Es sind junge Offiziere, die anders als Präsident Kabore keine Angst vor den alten Offizieren oder Generälen haben.

Nicht desto trotz stellt sich die Frage, was das neue Regime aus eben diesen alten Offizieren und Generälen macht. Fakt ist, dass die Entscheidungen, die zu diesen Themen getroffen werden, von Bedeutung sein werden.

Und was die Internationale Staatengemeinschaften – insbesondere die Westliche angeht, ist nun eine ruhige Haltung und Besonnenheit verlangt. Denn den Umsturz eines demokratisch gewählten Präsidenten zu kritisieren oder zu verurteilen ist die eine Sache. Fraglich ist aber: Was hat die gleiche internationale Staatengemeinschaft unternommen, um die terroristischen Gräueltaten in Burkina Faso zu verhindern oder ansatzweise zu reduzieren, trotz Anwesenheit von Frankreich in der Region? Sind es nicht die gleichen Staaten, die 2011 das Fiasko in Libyen verursachte haben, um somit den Weg geebnet haben, damit die Terroristen ihre Aktivitäten Richtung Süden ausbreiten konnten? Es bleibt nun abzuwarten, wie die ECOWAS sich in der Angelegenheit verhalten wird. Folgen Sanktionen wie im Falle von Mali? Fakt ist, dass die MPSR dafür sorgen muss, dass die Instabilität in Burkina Faso ein Ende nimmt. Sonst werden mögliche weitere chaotische Zustände den Terroristen in die Hände spielen. Dadurch wären nicht nur Burkina Faso, Mali und Niger betroffen, sondern auch weitere ECOWAS Länder und Küstenländer, etwas wie Côte d´Ivoire, Benin und Togo Opfer des Staatenzerfalls in Libyen.

Mehr zu

tempor cum soluta nobis eleifend
tempor cum soluta nobis eleifend
Afrikanisches Traditionelles Knowledge
Zum Gleichen Thema

tempor cum soluta nobis eleifend
tempor cum soluta nobis eleifend
Afrikanisches Traditionelles Knowledge
Qualitätssiegel für Schwarze und Afrikanische Kreationen
Feed und Kontakt

Hast du einen Fehler auf moatalks entdeckt oder hast du ein Feedback zum Inhalt eines Artikels? Für Fehlerhinweise freuen wir uns über eine Mail an… Kommentare kannst du direkt unter dem Text schreiben. Alternativ kannst du uns auch eine E-Mail schreiben oder einen Leser:inbrief verfassen.

Diskutieren Sie gerne mit

0

Willkommen in unserer Community! Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen unser Forum zur Verfügung.  Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Achten Sie daher auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Bitte beachten Sie, dass Sie ein Leserkonto brauchen, wenn Sie unsere Artikel kommentieren wollen. 

Sie wollen diesen Artikel kommentieren? Bitte registrieren Sie sich oder melden Sie sich dafür. Wir freuen uns wenn Sie sachlich und respektvoll bleiben und sich an unsere Netiquette halten.

Alle Kommentare
Dieser Beitrag wurde noch nicht kommentiert!
Dieser Beitrag wurde noch nicht kommentiert!
Ähnliche Beiträge
tempor cum soluta nobis eleifend
Afrikanisches Traditionelles Knowledge
Qualitätssiegel für Schwarze und Afrikanische Kreationen
Kochsaucen mit westafrikanischer Note
Eine Botschaft zum Weltschokoladentag
FC Bayern verpflichtet Sadio Mané
Afrikaner in der Ukraine
Krieg in der Ukraine und Afrikas koloniale Vergangenheit

Anmelden als Leser:in

E-Mail oder Benutzername
Dein Password
Eingeloggt bleiben

Sie haben noch kein MOATALKS Leser:in- Konto?